"Semitische Wissenschaften"? Ägyptologie und Altorientalistik im "Dritten Reich"

"Semitische Wissenschaften"? Ägyptologie und Altorientalistik im "Dritten Reich"

Veranstalter
Das Seminar für Altorientalistik und das Seminar für Ägyptologie und Koptologie der Universität Göttingen (Heike Behlmer, Annette Zgoll, Orell Witthuhn, Andreas Effland, Thomas L. Gertzen)
Ausrichter
Heike Behlmer, Annette Zgoll, Orell Witthuhn, Andreas Effland, Thomas L. Gertzen
Veranstaltungsort
Online
PLZ
37073
Ort
Göttingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.11.2021 - 28.11.2021
Von
Thomas Gertzen

Der Workshop soll die neuesten Erkenntnisse zur Geschichte altorientalistischer Disziplinen während der Zeit des "Dritten Reiches" mit denen der allgemeinen Wissenschaftsgeschichtsforschung verknüpfen und den Austausch zwischen Vertretern von Ägyptologie, Altorientalistik und Vorderasiatischer Archäologie zu diesem Thema befördern.

"Semitische Wissenschaften"? Ägyptologie und Altorientalistik im "Dritten Reich"

Lange schon galt die Zeit des „Dritten Reiches“ für die Orientalistik, wie für andere Wissenschaften als eine Phase des Verfalls und des Verlustes. So auch für die altertumswissenschaftlichen Fächer der Altorientalistik/ Vorderasiatischen Archäologie und Ägyptologie. Zeitgenössische Einschätzungen, wie die des Althistorikers Helmut Berve (1896–1979) taten diese als „semitische Wissenschaften“ ab. Zahlreiche Fachvertreter wurden aufgrund ihrer jüdischen Herkunft verfolgt, ins Exil vertrieben oder gar Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. Die Wissenschaftler reagierten auf höchst unterschiedliche Weise auf diese Bedrängnis: Zum Teil wurde versucht, Forschungsinhalte und Methodik an den sich wandelnden Zeitgeist anzupassen und die altorientalischen Fächer als „völkische“ Disziplinen neu zu begründen. Einige, von den Verfolgungsmaßnahmen nicht betroffene, zogen Vorteile für sich und ihre Forschung aus den sich verändernden politischen Rahmenbedingungen. Dabei kamen auch Generationenkonflikte zum Tragen und führte dies zu einer personellen Erneuerung. Überhaupt nimmt die Wissenschaftsforschung in jüngster Zeit das durch diese gewaltsamen Umbrüche gewachsene Innovationspotential im gesamten deutschen Wissenschaftsbetrieb stärker zur Kenntnis.

Einzelne Disziplinen und Forschungsinstitutionen aus dem Bereich altorientalischer Forschung haben bereits vor einiger Zeit damit begonnen, dieses Kapitel ihrer Fachgeschichte aufzuarbeiten. Dabei hat sich der Eindruck einer hohen Komplexität des Forschungsfeldes weiter verstärkt, und die Menge der zur Verfügung stehenden Sekundärliteratur und erschlossenen bzw. zu erschließenden Quellen ist enorm erhöht worden.

Aus dem zuvor Gesagten ergibt sich die Notwendigkeit, die neugewonnenen Forschungserkenntnisse mit denen der allgemeinen Wissenschaftsgeschichtsforschung zu verknüpfen; ebenso wie die Entwicklungen in einzelnen Disziplinen und an unterschiedlichen Forschungsstandorten mit ihren „Nachbarn“ in Beziehung zu setzen. Obwohl es sich bei der Untersuchung der Wechselwirkung zwischen Politik und Wissenschaft in der Mitte des 20. Jahrhunderts um ein vor allem in Deutschland intensiv bearbeitetes Forschungsfeld handelt, lohnt dabei auch der Blick über die Landesgrenzen hinweg.

Deswegen soll im Rahmen eines von Göttingen aus „digital gehosteten“ Workshops von Vertretern unterschiedlichster Disziplinen, vorrangig – aber nicht ausschließlich – der altorientalischen Fächer und der Geschichtswissenschaft, die Möglichkeit zum Austausch und zur Diskussion neuer Forschungsergebnisse und zukünftiger Forschungsperspektiven geboten werden.

Programm

Freitag, 26. November 2021

13:30 Uhr Begrüßung (HEIKE BEHLMER und ANNETTE ZGOLL, GÖTTINGEN)

14:00 Uhr Einführung (THOMAS L. GERTZEN, BERLIN)

14:30 Uhr Pause

Panel 1: „Ide(ologie)engeschichte“

14:45 Uhr: „Arisch-semito-hamitische Wurzeln der ägyptischen Zivilisation?“ (CHRISTIANA KÖHLER, WIEN)

15:15 Uhr: „‚Weißafrika‘: Ein Gegenentwurf zur Indoeuropäischen Nord- und Ostthese“ (PETER ROHRBACHER, WIEN)

15:45 Uhr TBA (EVA CANCIK-KIRSCHBAUM, BERLIN)

16:15 Uhr Diskussion

16:30 Uhr Pause

Panel 2: „Der Assyriologe Benno Landsberger“ (LUDĚK VACÍN, MÜNSTER / PETER RAULWING, CHICAGO)

17:00 Uhr Teil 1: „Zur Edition der Briefe Benno Landsbergers“

17:30 Uhr Teil 2: „Zum Lehrer-Schüler-Verhältnis zwischen Benno Landsberger und Wolfram von Soden“

18:00 Uhr Diskussion

Samstag, 27. November 2021

Panel 3: „Biografien – Günther Roeder“

10:00 Uhr: „Die ‚Deutsche Hermopolis-Expedition‘ 1938–1951: Das Archiv von Émil Baraize und die Korrespondenz von Günther Roeder mit Alan Wace“ (MÉLANIE FLOSSMANN-SCHÜTZE, MÜNCHEN)

10:30 Uhr: „Günther Roeder und die ‚Deutsche Hermopolis-Expedition‘“ (PATRICK BROSE, MÜNCHEN)

11:00 Uhr: „Das Pelizaeus-Museum und sein Direktor Günther Roeder im ‚Dritten Reich‘“ (CHRISTIAN BAYER, HILDESHEIM)

11:30 Uhr Diskussion

11:45 Uhr Pause

Panel 4: „International Perspectives“

12:00 Uhr: „How to cope with the Nazi Regime: The ‚Parallel Lives‘ of Albrecht Götze and Kurt Bittel and their Meaning for Hittite Studies“ (SILVIA ALAURA, ROM)

12:30 Uhr: „Sumer and Japan in the early Showa period“ (REIKO MAEJIMA, WIEN)

13:00 Uhr Diskussion

13:15 Uhr Mittagspause

Panel 5: „Ausschluss & Exil“

15:00 Uhr: „Zum Zwangsausschluss von Juden aus der Deutschen Orient-Gesellschaft 1938“ (OLAF MATTHES, HAMBURG)

15:30 Uhr: „Listenwissenschaft and Ordnungswille from a Jewish Perspective: A. L. Oppenheim on Ancient Mesopotamia before ‚A Dead Civilization‘“ (ABRAHAM WINITZER, NOTRE DAME)

16:00 Uhr Diskussion

Sonntag, 28. November 2021

Panel 6: „Anpassung, Opportunismus, Widerstand?“

10:00 Uhr: „Egyptology in the ‚Third Reich‘ in Munich: Between adaption and (passive) resistance“ (MARTINA ULLMANN, MÜNCHEN)

10:30 Uhr: „Hermann Kees’ Netzwerke: Eine Darstellung anhand unveröffentlichter Archivquellen“ (BARBARA MAGEN / ORELL WITTHUHN, GÖTTINGEN)

11:00 Uhr Kommentar und Diskussion (DÉSIRÉE SCHAUZ, BONN)

11:30 Uhr Pause

Panel 7: „Nachspiel“

11:45 Uhr: „Zwischen Kontinuität und Neuanfang. Die Altorientalistik in Berlin von 1945 bis 1955“ (HANS NEUMANN, BERLIN)

12:15 Uhr: „Der Verlag J.C. Hinrichs in den Jahren 1933–1950: Generationenkonflikte, Ideologie und Anpassung an das System im Spiegel der Korrespondenz mit ägyptologischen Autoren“ (HENNING FRANZMEIER, BOLOGNA)

12:45 Uhr Diskussion

13:00 Uhr Mittagspause

14:30 Uhr: „Der NS-Propagandafilm: „Germanen gegen Pharaonen“ (1939) wird durch SUSANNE VOSS (KAIRO/BERLIN), MARTIN LINDNER (GÖTTINGEN) und UWE PUSCHNER (MÜNCHEN) kommentiert und (wissenschafts-) historisch eingeordnet werden.

15:30 Uhr Diskussion

16:00 Uhr Pause

16:30 Uhr: Buchvorstellung: „Hans Gustav Güterbock. Ein Leben für die Hethitologie. Berlin – Ankara – Uppsala – Chicago“ (PETER RAULWING, LARS PETERSEN & THEO VAN DEN HOUT)

18:00 Uhr Keynote Lecture: „Der Alte Orient und die Alte Geschichte Diskurse und Debatten im ‚Dritten Reich‘“ (STEFAN REBENICH, BERN)

Kontakt

E-Mail: event.aegyptologie@uni-goettingen.de